Die Wechseljahre sind weit mehr als das Ende der Monatsblutung. Sie markieren eine tiefgreifende hormonelle Umstellung, die Körper, Psyche und oft auch das Erleben von Sexualität beeinflusst. Mit dem Rückgang von Östrogen und Testosteron berichten viele Frauen von einer veränderten Libido – mal schleichend, mal abrupt.
Ein besonders belastendes, aber oft tabuisiertes Symptom ist die sogenannte vaginale Atrophie – also die Ausdünnung und Austrocknung der Vaginalhaut. Sie betrifft bis zu 70 % der postmenopausalen Frauen. Anders als kurzfristige Trockenheit ist dies eine strukturelle Veränderung, die zu Schmerzen beim Sex, Blutungen und Einschränkungen im Alltag führen kann.
Doch sexuelle Lust ist nicht einfach „weg“ – sie verändert sich. Manche Frauen spüren kein Bedürfnis mehr nach Sexualität – und empfinden das als befreiend. Andere vermissen sie als Quelle von Nähe, Vitalität und Selbstverbindung. Entscheidend ist: Wer seine Sexualität erhalten oder neu beleben möchte, hat heute viele Möglichkeiten.
Sex ab 40 – es geht vielen so
Studien zeigen: Fast jede zweite Frau zwischen 40 und 59 Jahren erlebt einen Rückgang des sexuellen Verlangens. Die Gründe sind vielfältig – hormonelle Veränderungen, körperliche Beschwerden, aber auch Beziehungsdynamiken. Langjährige Partnerschaften können zur Routine werden, das Neue fehlt. Auch Männer erleben altersbedingte Veränderungen wie erektile Dysfunktion oder hormonelle Einflüsse – was die Intimität zusätzlich beeinflusst.
Hinter den Zahlen stehen echte Lebensrealitäten: Frauen, die Nähe vermissen, aber den Gesprächseinstieg scheuen. Paare, die sich körperlich zurückziehen, um Konflikte zu vermeiden. Die gute Nachricht: Der Wunsch nach Intimität muss nicht verschwinden – er kann wieder Raum finden.
Warum die Lust nachlässt – ein Geflecht aus Ursachen
1. Hormone – stille Regisseure des Begehrens
Östrogen erhält die Durchblutung, Dicke und Elastizität der Vaginalhaut. Wenn der Spiegel sinkt, werden die Schleimhäute dünner, trockener und empfindlicher – was Intimität erschwert.
Auch Testosteron – oft als männlich geltend – ist für Frauen entscheidend. Es beeinflusst sexuelles Verlangen, Fantasien, Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit. Der Spiegel sinkt mit zunehmendem Alter, besonders deutlich nach einer operativen Entfernung der Eierstöcke.
Ein Teil der Frauen entwickelt ein klinisches Muster: Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) – ein anhaltend vermindertes sexuelles Interesse mit persönlichem Leidensdruck. Schätzungen zufolge erfüllen 6–13 % der Frauen die Diagnosekriterien, bis zu 27 % erleben relevante Lustlosigkeit.
2. Kopf und Körper: Wenn das Erleben auseinanderdriftet
Sexualität ist nicht nur hormonell – sie ist auch psychisch. Stress, Schlafprobleme, depressive Verstimmungen oder Sorgen um das eigene Aussehen wirken sich negativ auf die Libido aus. Wer sich nicht wohlfühlt im eigenen Körper, kann nur schwer Lust empfinden.
Auch partnerschaftliche Aspekte spielen eine Rolle: Ungelöste Konflikte, Schweigen oder einseitige Rollenverteilungen mindern Nähe. Wenn Sex mit Schmerz verknüpft ist, ist Vermeidung ein verständlicher Schutzmechanismus. Hier setzt emotionale Aufarbeitung an – oft ein wichtiger erster Schritt zurück zur Lust.
Was hilft? Medizinische und emotionale Wege
1. Testosterontherapie – sinnvoll bei HSDD
Für Frauen mit klar diagnostizierter HSDD ist eine Testosterontherapie ein anerkannter Behandlungsweg. Internationale Fachgesellschaften empfehlen eine niedrig dosierte transdermale Anwendung (Gel oder Pflaster), um den Hormonspiegel in den physiologischen Bereich zurückzuführen. Studien zeigen: Viele Frauen berichten unter der Behandlung von mehr Lust, erhöhter Erregbarkeit und befriedigenderem Sex.
Vor Therapiebeginn:
Blutuntersuchung zur Bestimmung des Ausgangsspiegels
Ausschluss von Kontraindikationen (z. B. Brustkrebs)
Therapiekontrolle:
Verlaufskontrolle nach drei und sechs Monaten
Wenn nach sechs Monaten keine Besserung eintritt: Therapieende in Absprache mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt
Regelmäßige Blutkontrollen zur Sicherstellung eines physiologischen Testosteronspiegels
Obwohl in Europa kein Präparat speziell für Frauen zugelassen ist, gilt die Off-Label-Anwendung bei sorgfältiger Indikationsstellung als sicher.
2. Östrogen lokal anwenden – gezielt gegen Beschwerden
Lokale Östrogene wie Estriolcremes helfen bei vaginaler Atrophie. Sie fördern die Regeneration der Schleimhaut, verbessern die Durchblutung und machen Intimität wieder möglich – ohne systemische Hormonwirkung. Die Anwendung ist langfristig möglich und wird auch Frauen mit Brustkrebsvorgeschichte empfohlen, wenn ärztlich abgesichert.
3. Nicht-hormonelle Ansätze – sinnvoll und wirksam
Psychotherapie und Sexualberatung
Kurzzeittherapien – etwa auf Basis der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) – helfen, das Körperbild zu stärken, unrealistische Erwartungen zu hinterfragen und Kommunikationsmuster zu verbessern. Auch achtsamkeitsbasierte Methoden können die sexuelle Wahrnehmung fördern.
Schon vier bis acht Sitzungen können laut Studien das sexuelle Verlangen, die Erregung und das allgemeine Wohlbefinden deutlich verbessern.
Stressabbau, Bewegung, soziale Unterstützung
Chronischer Stress, Schlafmangel oder Daueranspannung wirken hemmend auf die Lust. Achtsamkeit, Yoga, Bewegung und gezielte Entspannungstechniken schaffen oft die emotionale Grundlage für ein aktives Sexualleben. Auch offene Gespräche mit Freundinnen können entlastend wirken – und zeigen: Du bist nicht allein.
Intimität neu definieren
Sexualität bedeutet mehr als Penetration. Berührung, gemeinsames Erkunden oder ein entspannterer Zugang zu Nähe helfen, neue Wege zu finden. Auch Hilfsmittel wie Gleitgele oder Vibratoren können die Freude am Erleben zurückbringen – ohne Leistungsdruck.
„Ich dachte lange, mit mir stimmt etwas nicht. Dann habe ich verstanden: Mein Körper hat sich verändert. Als ich das akzeptieren konnte, fand ich Stück für Stück zurück zu mir.“
Bis zu 27 % der Frauen erleben während oder nach den Wechseljahren einen deutlichen Rückgang der Libido
Testosteron kann bei HSDD helfen – aber nur nach medizinischer Abklärung und zeitlich begrenztem Therapieversuch
Fazit: Lust verändert sich – aber sie gehört weiterhin zu dir
Die Wechseljahre verändern vieles – aber sie nehmen dir nicht das Recht auf Nähe, Intimität und Freude. Ob du dich von Sexualität verabschieden oder einen neuen Zugang finden möchtest: Deine Entscheidung zählt.
Wichtig ist, anzuerkennen, was sich verändert hat – ohne Scham. Und dann mutig den nächsten Schritt zu gehen: mit deiner Ärztin, einem Partner oder einer Therapeutin. Mit dem richtigen Wissen und liebevoller Unterstützung kann auch diese Lebensphase erfüllend und sinnlich sein.
Quellen
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